Kündigung aufgrund eines nicht abgeschlossenen Schreibtisches
Die wiederholte Verletzung organisatorischer Schutzmaßnahmen, die zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen angeordnet wurden, kann die Kündigung eines Arbeitnehmers rechtfertigen.
Sachverhalt
Beim beklagten Unternehmen besteht eine Arbeitsanweisung „Procedure zur Informationssicherheit am Arbeitsplatz und Clean Desk Policy“. Diese Arbeitsanweisung enthält unter anderem die Regelung, dass dafür Sorge zu tragen ist, dass schützenswerte oder geheime Informationen ‒ egal ob in papierhafter Form oder auf dem Bildschirm ‒ nicht durch Dritte eingesehen werden können. „Wenn der Arbeitsplatz verlassen wird oder unbeaufsichtigt ist:
- Sind schützenswerte Akten, Datenträger oder Hardware mit Informationen ordnungsgemäß wegzuschließen oder ordnungsgemäß zu entsorgen. Für Notebooks gilt der nächste Punkt.
- Muss darauf geachtet werden, dass das jeweilige Arbeitsgerät immer gesperrt wird, also mindestens der Bildschirmschoner aktiv ist.
- Dürfen Ausdrucke mit vertraulichem Inhalt und Datenträger nicht offen liegen gelassen werden, sondern müssen in eine Schublade, einen Schrank oder dergleichen gesperrt werden.
- Dürfen der Schlüssel für Rollcontainer oder Schränke mit vertraulichem Inhalt nicht am Arbeitsplatz oder an den Schlössern verbleiben.
- Dürfen Passwörter auf keinen Fall sichtbar (als Klebezettel am Monitor oder an einem leichterratenden Ort wie z. B. unter der Schreibtischauflage z. B. in der unverschlossenen Schreibtischschublade oder unter der Tastatur bzw. Mousepad) aufbewahrt werden.
- Sind am Ende des Arbeitstages die IT-Systeme abzumelden und herunterzufahren. Ausnahmen bilden Systems, die aus technischen oder organisatorischen Gründen nicht neu gebootet werden dürfen.
- Sind gekippte bzw. offenen Fenster am Ende des Arbeitstages zu verschließen.“
An die Einhaltung dieser Clean Desk Policy werden die Mitarbeiter regelmäßig erinnert.
Wegen eines Verstoßes gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen war die Klägerin bereits zweimal abgemahnt worden. Eine weitere Abmahnung erhielt die Betroffene, als sie sich an mehreren Tagen nicht ordnungsgemäß von den von ihr genutzten IT-Systemen abgemeldet hatte, wodurch die Arbeit anderer Mitarbeiter beeinträchtigt wurde.
Nach einigen weitern Abmahnungen wurde der Klägerin schließlich unter anderem mit der Begründung gekündigt, dass sie ihren Schreibtisch nicht abgeschlossen habe, obwohl dieser personenbezogene Kundendaten enthalten habe.
Gegen diese Kündigung hatte die Betroffene Klage beim zuständigen Arbeitsgericht erhoben, das ihr Recht gab.
Gegen dieses Urteil des Arbeitsgerichts legte die Beklagte mit Erfolg Berufung beim Sächsischen Landesarbeitsgericht (LAG) ein.
Aus den Entscheidungsgründen
Nach Ansicht des LAG Sachsen ist die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sozial gerechtfertigt, weil ein im Verhalten der Klägerin liegender Grund vorliegt, der eine negative Zukunftsprognose rechtfertigt und die Interessenabwägung hier zugunsten der Beklagten ausfällt.
Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine schuldhafte, vorwerfbare und rechts- oder vertragswidrige Verletzung von Haupt- und/oder Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis geeignet.
Eine Pflichtverletzung liegt in Form der Nichteinhaltung der Arbeitsanweisung „Clean desk policy“ unstreitig vor. Die Klägerin hat entgegen der Anweisung Unterlagen mit sensiblen Daten unverschlossen zu einem Zeitpunkt im Schreibtisch aufbewahrt, zu dem sie selbst nicht im Büro anwesend war. Unstreitig war ihr diese Anweisung hinreichend bekannt.
Der Annahme eines Pflichtverstoßes steht im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, dass die Clean Desk Policy „ersichtlich betriebsfremde Personen als Dritte“ meint, weil alle anderen Mitarbeiter inkl. der Gruppenleiter ebenso wie die Klägerin den Grundsätzen der Vertraulichkeit und Verschwiegenheit unterworfen sind. Entgegen der Ansicht der Klägerin sind auch diese solange als „Dritte“ anzusehen, wie sie nicht selbst im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit Zugriff auf genau die hier fraglichen Daten hatten. Denn auch ihrerseits dem Datenschutz verpflichtete Mitarbeiter dürfen über Kunden nichts erfahren, was sie nicht ihrer eigenen Arbeitsaufgabe wegen angeht, selbst wenn sie es nicht weitersagen dürfen. Mit dieser Argumentation zeigt die Klägerin ‒ wie von der Beklagten auch ausgeführt, dass sie tatsächlich bis heute die hohe Bedeutung des Datenschutzes nicht wirklich verstanden hat. Der Pflichtverstoß als solcher ist auch nicht abhängig davon, ob ein Schaden bereits eingetreten ist oder zumindest drohte. Die Arbeitsanweisung ist klar und deutlich sowie angesichts der bei der Beklagten zu verarbeitenden sensiblen Daten auch nicht unverhältnismäßig. Es ist nicht Sache der Klägerin, zu entscheiden, ob eine Einhaltung erforderlich war oder nicht, weil Dritte keinen unbeaufsichtigten Zugang zu Büro oder Etage hatten. Wie ausgeführt, genügt hier auch bereits der ungehinderte Zugang anderer, mit den Daten nicht befasster Mitarbeiter.
Unzutreffend ist nach Meinung des Gerichts auch die Ansicht der Klägerin, der behauptete Verstoß gegen die Clean Desk Policy wegen des nicht abgeschlossenen Schreibtischs sei dem Bereich der Nebenpflichtverletzungen zuzuordnen. Die Erbringung der Arbeitsleistung im Rahmen des rechtmäßig ausgeübten Direktionsrechts ‒ zu dem auch Arbeitsanweisungen zum Datenschutz gehören ‒ ist Hauptleistungspflicht. Soweit die Klägerin hierzu darüber hinaus geltend macht, der Verstoß wiege nicht schwer, mag dies für den einzelnen Verstoß noch gelten. Es liegen aber wiederholte Verstöße trotz einschlägiger Er- und Abmahnungen vor, siehe dazu unten. Die Beklagte durfte diesen weiteren Verstoß daher zum Anlass für die Kündigung nehmen.
Außerdem verkenne die Klägerin, dass es auf eine Absicht bzgl. der Pflichtverletzung nicht ankommt. Auch eine fahrlässige Handlungsweise ist schuldhaft, § 276 BGB. Die Klägerin verkenne weiter, dass die von ihr eingestandenen Flüchtigkeitsfehler, Nachlässigkeiten und Versehen gerade die Schlechtleistung darstellen, die die Beklagte rügt. Es ist zwar grundsätzlich eine Arbeitsleistung „mittlerer Art und Güte“ geschuldet. Dabei kann es also auch vorkommen, dass entsprechende Fehler mal passieren, allerdings ist eine ‒ hier feststellbare ‒ Vielzahl an solchen Fehlern nicht mehr als „mittlerer Art und Güte“ anzusehen. Es genügen insoweit Umstände, die aus Sicht eines ruhig und verständig urteilenden Arbeitgebers eine Kündigung als angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten des Arbeitnehmers erscheinen lassen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist es für eine negative Prognose ausreichend, wenn die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen. Wie schon ausgeführt, handelt es sich um Pflichtverstöße aus Nachlässigkeit bzw. Flüchtigkeit, verstoßen wird gegen ausdrückliche mündliche und schriftliche Arbeitsanweisungen. Die Ansicht, das Liegenlassen von Akten auf dem Schreibtisch sei ein anderer Verstoß gegen die Clean desk policy, als das fehlende Abschließen des Schreibtisches, ist zu streng. Mit diesem Maßstab dürften Kündigungen nur noch ausgesprochen werden, wenn wirklich exakt derselbe Verstoß gegeben wäre. So verhält es sich aber nicht, siehe die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer aus eigenen Erwägungen anschließt.
Wie vorstehend dargestellt, handelt es sich in der Summe um erhebliche Pflichtverletzungen, die auch zu Ablaufstörungen bei der Beklagten geführt haben. Der die Kündigung letztlich auslösende Verstoß gegen die Datenschutzvorgaben ist für sich gesehen ebenfalls erheblich, auch wenn die Klägerin dies nicht einsehen will, siehe dazu schon oben. Es ist der Beklagten nicht zuzumuten, weitere Abmahnungen auszusprechen, die keine Verbesserungen zeitigen. Sie muss im Gegenteil aufpassen, dass aufgrund der Vielzahl die Warnfunktion nicht verloren geht.
Fundstelle: Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen vom 07.04.2022 – 9 Sa 250/21 – abrufbar im Internet beispielsweise unter https://www.iww.de/quellenmaterial/id/230369