Eine abgeschaltete Kamera unterfällt nicht dem Anwendungsbereich der DSGVO
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz hat am 25.06.2021 entschieden, dass eine abgeschaltete Kamera nicht dem Anwendungsbereich der DSGVO unterfällt. Darüber hinaus ermächtigt Art. 58 Abs. 2 Buchstabe f DSGVO nicht zur Anordnung des Abbaus einer abgeschalteten Überwachungskamera.
Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Einkaufszentrum und einem Parkplatz bebauten Grundstücks in einem Gewerbegebiet. Auf dem Parkplatz, der über einen Abzweig von der vorbeiführenden Bundesstraße erreicht werden kann, hat der Kläger auf zwei Betonpfeilern eine doppelseitige LED-Werbetafel im Wert von ca. 200.000 Euro errichtet, die von insgesamt vier an der Tafel angebrachten Videokameras überwacht wird. Zwei der Kameras erfassen jeweils eine Seite der Tafel, die anderen beiden Kameras sind auf den jeweiligen Bereich vor der Reklametafel ausgerichtet. Dabei filmt eine Kamera (Videokamera 1) den Parkplatz und das Einkaufszentrum, die andere Überwachungskamera den Einmündungsbereich in den Parkplatz. Die Aufnahmen der rund um die Uhr betriebenen Kameras, auf die der Kläger von einem Rechner in seinem Büro aus Zugriff hat, werden in einem gesondert verschlossenen Aufzeichnungsgerät im Inneren der Installation für 48 Stunden gespeichert und danach automatisch gelöscht.
Mit Bescheid vom 23. November 2018 verwarnte der der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz den Kläger betreffend die Datenverarbeitung durch die Videokamera 01 nach Art. 58 Abs. 1 lit. b Datenschutz-Grundverordnung (Ziffer 1), forderte den Kläger nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO auf, die Datenverarbeitung durch diese Kamera einzustellen und die Kamera abzubauen (Ziffer 2) sowie den Abbau gemäß Art. 58 Abs. 1 lit. a DSGVO durch ein entsprechendes Lichtbild nachzuweisen (Ziffer 4). Weiter gab er dem Kläger auf, die Datenverarbeitung durch Kamera 02 auf den Zeitraum außerhalb der Öffnungszeiten der umliegenden Geschäfte zu beschränken (Ziffer 3) und dies durch einen Ausdruck oder ein Lichtbild der entsprechenden Einstellungen nachzuweisen (Ziffer 5) sowie die Videokameras 03 und 04 so auszurichten, dass die darauf teilweise ersichtliche Straße, der Parkplatz und das Wohnhaus nicht mehr in den Erfassungswinkel der Videokameras fallen (Ziffer 6) und dies durch Bildschirmausdrucke nachzuweisen (Ziffer 7). Für diese Maßnahmen setzte der Beklagte dem Kläger eine Frist bis zum 15. Dezember 2018 und drohte für die Missachtung der Anordnung des Abbaus der Videokameras ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,-- € an.
Vorinstanz
Der Kläger hat am 26. Juni 2019 Klage erhoben, mit der er im Wesentlichen geltend gemacht hat, die Videoüberwachung sei rechtmäßig. Die Kameras dienten dem Schutz der Werbetafel vor Beschädigungen, nachdem es auf dem Gelände in der Vergangenheit u. a. zu Einbrüchen in Geschäfte des Einkaufszentrums, Sachbeschädigungen durch Graffitis, Entsorgung von Altöl und Fällen von Fahrerflucht gekommen sei. Nur das Zusammenspiel aller vier Kameras sichere einen effektiven Schutz der Werbeanlage. Darüber hinaus sei die Abbauverfügung betreffend Kamera 01 rechtswidrig, weil bereits deren Abschaltung ausreiche, um eine weitere Datenverarbeitung zu verhindern.
Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz als Beklagter hat beantragt, die Klage abzuweisen, und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die Anordnung der Betriebseinstellung sowie des Abbaus von Kamera 01 seien erforderlich, weil der Kläger nicht berechtigt sei, den öffentlichen Verkehrsraum zu überwachen. Dadurch sei eine erhebliche Anzahl rechtswidriger Verarbeitungsvorgänge erfolgt. Die Überwachung des Verkehrsraums sei eine staatliche Aufgabe, deren Wahrnehmung durch den Kläger ohne Bezug zu konkretem deliktischen Verhalten die Rechte der Verkehrsteilnehmer beeinträchtige. Die bloße Abschaltung der Kamera sei nicht ausreichend, denn die Kamera bewirke bei einem Verbleib an der Tafel als faktische Attrappe einen unzulässigen Überwachungsdruck. Nur durch die Entfernung könne sichergestellt werden, dass der Betrieb nicht wieder aufgenommen werde. Betreffend die anderen Kameras sei zur Beseitigung der datenschutzrechtlichen Verstöße eine Betriebsbeschränkung auf Zeiten außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten (Kamera 02) bzw. eine veränderte Ausrichtung der Kameras ausschließlich auf die Werbetafel (Kameras 03 und 04) erforderlich.
Das angerufene Verwaltungsgericht hat die Anordnung des Abbaus von Kamera 01 sowie die Ziffern 4 und 9 des angefochtenen Bescheids mit Urteil vom 24. September 2020 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Überwachung des Einmündungsbereichs in den Parkplatz sei mangels Einwilligung der betroffenen Personen nach Art. 6 Abs. 1 UA 1 Satz 1 lit. a DSGVO rechtswidrig. Die Datenverarbeitung sei auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 UA 1 lit. f DSGVO gerechtfertigt, insbesondere während der Öffnungszeiten des Einkaufszentrums nicht erforderlich. Die gezielte heimliche Überwachung von Personen auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen sei grundsätzlich unzulässig. Die personen- und kennzeichengenaue Überwachung der Verkehrsbereiche durch Kamera 01 erfolge regelmäßig, anlasslos und sei für vorbeifahrende Autofahrer, die das Eigentum des Klägers offensichtlich nicht beeinträchtigen wollten, nicht ohne weiteres erkennbar. Zwar sei eine besondere Gefährdungslage für die Werbetafel außerhalb der Öffnungszeiten des Einkaufszentrums anzunehmen, jedoch überwögen die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen das Interesse des Klägers am Schutz seines Eigentums. Aufgrund dessen sei sowohl die Verwarnung als auch die Anordnung der Betriebseinstellung der Kamera 01 rechtmäßig. Demgegenüber könne der Abbau dieser Kamera nicht auf Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO gestützt werden, denn diese Vorschrift erlaube der Aufsichtsbehörde lediglich, eine Datenverarbeitung vorübergehend oder endgültig zu beschränken oder zu verbieten. Das Verbot der Datenverarbeitung beziehe sich auf eine bestimmte Handlung, nicht aber auf das Vorhandensein einer – ausgeschalteten – Datenverarbeitungsanlage. Zwar sei für den Beklagten nur beschränkt überprüfbar, ob die Kamera tatsächlich ausgeschaltet sei. Soweit er sich auf Schwierigkeiten bei der effektiven Rechtsdurchsetzung berufe, sei er jedoch darauf zu verweisen, dass es dem deutschen Gesetzgeber unbenommen sei, die Aufsichtsbehörde gemäß Art. 58 Abs. 6 Satz 1 DSGVO mit zusätzlichen Befugnissen auszustatten. Unabhängig davon verarbeite eine abgeschaltete Kamera keine Daten, so dass der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung nicht eröffnet sei.
Berufung
Mit seiner vom Senat des OVG zugelassenen und auf die Aufhebung der Abbauanordnung von Kamera 01 beschränkten Berufung macht der beklagte Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz geltend, der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung sei eröffnet. Die Anordnung des Abbaus stelle ein Verbot der Verarbeitung im Sinne von Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO dar. Zwar verarbeite eine ausgeschaltete Kamera keine Daten; der sachliche Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung erstrecke sich jedoch auch auf das Verarbeitungsumfeld in Gestalt technischer und organisatorischer Maßnahmen mit mittelbarem Zusammenhang zu Vorgängen der Datenverarbeitung. Anders als eine bloße Attrappe bleibe eine (nur) deaktivierte Kamera voll funktionsfähig. Das von ihr ausgehende Risiko einer unbefugten oder unrechtmäßigen Verarbeitung sei für eine betroffene Person nicht wesentlich geringer einzuschätzen als während des Betriebs, da das bloße Anschalten genauso einfach möglich sei wie eine Zweckentfremdung während des laufenden Betriebs. Ausgehend von dem sog. risikobasierten Ansatz nehme der Verordnungsgeber nicht nur das von der Verarbeitung selbst ausgehende Risiko in den Blick, sondern auch das von dem Verarbeitungsumfeld ausgehende Risiko. Daher könne ein Verarbeitungsverbot auch das Verarbeitungsumfeld zum Gegenstand haben. Im Übrigen erweise sich die Abbauverfügung als verhältnismäßig; eine andere gleich geeignete, aber weniger eingriffsintensive Maßnahme komme nicht in Betracht. Eine reine Betriebseinstellung sei von außen nicht erkennbar, für den Beklagten nicht überprüfbar und widerspreche daher dem Effizienzgebot. Das bloße Verbot der Verarbeitung, dessen Umgehung nicht überprüft werden könne, könne Verstöße gegen die DSGVO nicht wirksam verhindern.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und trägt vor, der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung sei nicht eröffnet. Nach Art. 2 Abs. 1 DSGVO gelte die Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung von Daten. Da eine abgeschaltete Kamera nichts aufzeichne und keine personenbezogenen Daten verarbeite, finde die Datenschutz-Grundverordnung keine Anwendung. Die Befugnisnorm des Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO greife auch deshalb nicht, weil sich das Verbot auf eine bestimme Handlung beziehe und nicht an das bloße Vorhandensein einer – ausgeschalteten – Datenverarbeitungsanlage anknüpfe. Eine über die Abhilfebefugnisse der Datenschutz-Grundverordnung hinausgehende nationale Vorschrift im Sinne von Art. 58 Abs. 6 DSGVO habe der deutsche Gesetzgeber bislang nicht geschaffen. Ungeachtet dessen erweise sich die angefochtene Verfügung jedenfalls als unverhältnismäßig. Anstelle des Abbaus hätte der Beklagte den Nachweis der Abschaltung – entsprechend der Regelungen in Ziffern 5 und 7 der Verfügung – durch Lichtbilder und einen Ausdruck über die Einstellung der Kamerasteuerung verlangen können. Umgekehrt stünden dem Kläger keine Mittel geringerer Eingriffsintensität zum Schutz seines Eigentums zur Verfügung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz hat keinen Erfolg. Die im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständliche Anordnung des Abbaus von Kamera 01 in Ziffer 2 des Bescheids vom 23. November 2018 ist rechtswidrig und deshalb zu Recht vom Verwaltungsgericht aufgehoben worden. Die deaktivierte Kamera unterfällt bereits nicht dem Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung (1.). Überdies kommt Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO als Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung des Abbaus nicht in Betracht. Eine erweiternde Auslegung dieser Vorschrift, wie sie der Beklagte vornimmt, scheidet aus (2.).
1. Der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung ist nicht eröffnet.
Nach Art. 2 Abs 1 DSGVO gilt die Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Dabei bezeichnet „Verarbeitung“ gemäß Art. 4 Nr. 2 DSGVO jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung. Daran fehlt es vorliegend.
Zwar handelt es sich bei Videoaufnahmen und deren vorläufiger Speicherung durch eine Überwachungskamera um Datenverarbeitungsvorgänge im Sinne von Art. 4 DSGVO. Jedoch werden von der streitgegenständlichen Kamera 01 keine Daten (mehr) verarbeitet. Denn die in Ziffer 2 des Bescheids vom 23. November 2018 angeordnete Einstellung des Betriebes dieser Kamera ist, nachdem das Verwaltungsgericht die Klage insoweit abgewiesen, der Kläger diesbezüglich die Zulassung der Berufung nicht beantragt und sich auch der Berufung des Beklagten nicht gemäß § 127 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – angeschlossen hat, bestandskräftig geworden. Ist die Kamera ausgeschaltet, findet – da Anhaltspunkte für einen fortdauernden und der Verfügung widersprechenden Betrieb nicht vorliegen und auch vom Beklagten nicht vorgetragen werden – eine Verarbeitung personenbezogener Daten nicht (mehr) statt. Der sachliche Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung gemäß Art. 2 Abs. 1 DSGVO ist im Hinblick auf die bloß vorhandene, aber deaktivierte Kamera nicht eröffnet.
2. Ungeachtet dessen ermächtigt Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO nicht zur Anordnung des Abbaus der stillgelegten Kamera; eine erweiternde Auslegung der Vorschrift, wie sie der Beklagte vornimmt, scheidet aus.
a) Nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO verfügt die Aufsichtsbehörde im Fall eines Datenschutzverstoßes über sämtliche Abhilfebefugnisse, die es ihr – lediglich – gestatten, eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen. Von dieser Befugnis hat der Beklagte durch die Anordnung zur Einstellung der Datenverarbeitung durch Kamera 01 Gebrauch gemacht; diese Verfügung ist bestandskräftig. Eine weitergehende Befugnis zur Anordnung auch des Abbaus der Kamera begründet Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO nicht. Vielmehr ermächtigt die Norm die Aufsichtsbehörde ihrem eindeutigen Wortlaut nach allein dazu, die Verarbeitung vorübergehend oder ganz zu beschränken bzw. zu verbieten. Ebenso wie die Untersagung in der Vorgängerregelung des § 38 Abs. 5 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG a. F.) bezieht sich die Beschränkung bzw. das Verbot auf ein Verhalten – die Datenverarbeitung –, erstreckt sich jedoch nicht auf die Beseitigung der zugehörigen Hardware.
b) Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich die Anweisung zum Abbau einer deaktivierten Kamera nicht unter den Begriff des Verbots im Sinne der Vorschrift subsumieren. Gemäß Erwägungsgrund 129 Satz 4 DSGVO darf ein Verbot nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur verhängt werden, wenn weniger einschneidende Maßnahmen wie die Beschränkung der Verarbeitung keinen Erfolg versprechen. Stellt sich das Verbot damit als ultima ratio der Abhilfemaßnahmen nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO dar, scheidet eine erweiternde Auslegung des Verbotsbegriffes im Sinne eines deutlich eingriffsintensiveren Gebots zum Abbau einer deaktivierten Kamera aus. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Verbot nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO im Vergleich zu den anderen Maßnahmen aus dem Katalog des Art. 58 Abs. 2 wie etwa Verwarnungen (vgl. lit. b) und Anweisungen zu künftigem Verhalten (lit. d) ohnehin bereits um eine der belastendsten Maßnahmen für den Datenverarbeiter handelt.
c) Anders als der Beklagte meint, ermächtigt Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO auch nicht zur Anordnung des Abbaus als „technisch-organisatorische Maßnahme im Verarbeitungsumfeld“. Zwar ist der für die Verarbeitung Verantwortliche verpflichtet, durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen u. a. sicherzustellen, dass die Verarbeitung gemäß der Datenschutz-Grundverordnung erfolgt (Art. 24 Abs. 1 DSGVO), dass die Datenschutzgrundsätze wie etwa Datenminimierung wirksam umgesetzt werden (Art. 25 Abs. 1 DSGVO) und ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist (Art. 32 Abs. 1 DSGVO). Die Verpflichtung zur Durchführung solcher Maßnahmen, deren Erforderlichkeit sich nach den jeweiligen Risiken der betreffenden Verarbeitung personenbezogener Daten richtet (sog. risikobasierter Ansatz, vgl. Erwägungsgrund 75 und 76 DSGVO), besteht jedoch nicht isoliert. Vielmehr beziehen sich die vorgegebenen technischen und organisatorischen Maßnahmen ebenso wie die Beschränkungen und Verbote stets auf Datenverarbeitungsvorgänge, deren Vereinbarkeit mit der Datenschutz-Grundverordnung sie gewährleisten sollen. Derartige Verarbeitungsvorgänge finden jedoch bei einer deaktivierten Kamera wie dargelegt nicht statt. In Ermangelung von Datenverarbeitungsvorgängen lässt sich auch ein die Anordnung rechtfertigender mittelbarer Verarbeitungszusammenhang, wie er von der Beklagten behauptet wird, nicht feststellen.
d) Ebenso wenig lässt sich eine Abhilfebefugnis im Sinne einer Beseitigungsanordnung auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz stützen, wonach es den Mitgliedstaaten ebenso wie den nationalen Gerichten bei der Anwendung von Unionsrecht obliegt, die volle Wirkung seiner Bestimmungen zu gewährleisten. Dafür, dass die datenschutzrechtlichen Regelungen zur Entfaltung ihrer vollen Wirksamkeit über das Verarbeitungsverbot des Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO hinaus einer weiteren Absicherung durch eine zusätzliche – nicht normierte – Befugnis zur Anordnung der Deinstallation von Datenverarbeitungsanlagen bedürfen, lässt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm nichts herleiten. Art. 58 DSGVO hat Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie – DS-RL –) abgelöst, der im Vergleich relativ grobe Untersuchungs- und Einwirkungsbefugnisse sowie das Klagerecht und die Anzeigebefugnis der Aufsichtsbehörden normiert hat. Im Gegensatz zu den Befugnissen nach Art. 28 Abs. 3 DS-RL, die in ihrer Reichweite und Wirksamkeit wesentlich von den Vorgaben des nationalen Gesetzgebers in den einzelnen nationalen Umsetzungsgesetzen abhingen und deshalb erheblich zwischen den Mitgliedstaaten divergieren konnten, hat der Verordnungsgeber in Art. 58 DSGVO die Befugnisse der Aufsichtsbehörde erstmals europaweit einheitlich und mit unmittelbarer Geltung geregelt, um ein einheitliches Datenschutzniveau innerhalb der EU herzustellen. Angesichts der gegenüber der Vorgängernorm des § 28 Abs. 3 DS-RL deutlich erweiterten und präzisierten Abhilfebefugnisse – Art. 58 DSGVO sieht 26 konkrete Untersuchungs-, Abhilfe- und Genehmigungsbefugnisse vor – kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber ein – die vorgesehenen Abhilfebefugnisse in seiner Intensität zudem deutlich übersteigendes – Gebot zur Deinstallation von Hardware versehentlich nicht normiert hat, diese Lücke systemwidrig wäre und nunmehr über den Grundsatz des „effet utile“ geschlossen werden müsste. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Frage, ob die Aufsichtsbehörde auch zur Anordnung des Abbaus einer Kamera ermächtigt ist, bereits unter der Geltung von Art. 28 Abs. 3 DS-RL bzw. § 38 Abs. 5 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) a. F. umstritten war. Eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für eine Abbauanordnung hat jedoch trotz der bereits bekannten Problematik keinen Eingang in die Datenschutz-Grundverordnung gefunden. Im Gegenteil findet sich in der Gesetzesbegründung zu den Befugnissen der Aufsichtsbehörde (zum Entwurfszeitpunkt noch geregelt in Art. 53 der Verordnung) lediglich, dass Art. 53 – zum Teil gestützt auf die Vorgängerregelung des Art. 28 Abs. 3 DS-RL – die Befugnisse der Aufsichtsbehörde mit „einigen neuen Aspekten, darunter die Befugnis zur Verhängung verwaltungsrechtlicher Sanktionen“, regelt. Anhaltspunkte dafür, dass zusätzlich zu den bislang ausschließlich als Verbot bzw. Beschränkung vorgesehenen Abhilfebefugnissen eine Abhilfebefugnis in Gestalt eines Handlungsgebotes (zum Abbau einer Datenverarbeitungsanlage) geschaffen werden sollte, fehlen.
e) Schließlich rechtfertigt der Umstand, dass von der abgeschalteten Kamera 01 ebenso wie von einer Attrappe ein sog. Überwachungsdruck ausgeht, nicht die Annahme einer Befugnis des Beklagten zur Anordnung des Abbaus. Soweit eine Videoüberwachung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung eingreift, sind evtl. Abwehr-, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche vom Betroffenen im Zivilrechtsweg geltend zu machen.
f) Soweit der Beklagte geltend macht, ein isoliertes Verarbeitungsverbot vermöge Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung nicht wirksam zu begegnen, da der Kläger die Kamera jederzeit wieder in Betrieb nehmen könne, ohne dass die Aufsichtsbehörde dies kontrollieren und der Kläger seiner Rechenschaftspflicht nach Art. 5 Abs. 2 DSGVO nachkommen könne, ist er angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift auf Art. 58 Abs. 6 Satz 1 DSGVO zu verweisen, wonach es jedem Mitgliedstaat freisteht, durch Rechtsvorschriften vorzusehen, dass seine Aufsichtsbehörde neben den in den Absätzen 1 bis 3 aufgeführten Befugnissen über zusätzliche Befugnisse verfügt, die allerdings nicht die effektive Durchführung des Kapitels VII der Datenschutz-Grundverordnung beeinträchtigen dürfen. Von dieser Öffnungsklausel hat der nationale Gesetzgeber bislang nur in Gestalt von § 40 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 6 Satz 2 BDSG, nicht aber im Hinblick auf die Ermächtigung zum Erlass einer Beseitigungsanordnung Gebrauch gemacht.
Scheidet die Anordnung des Abbaus der Kamera auf der Grundlage von Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO aus, kommt es auf die Ausführungen der Beteiligten zur Verhältnismäßigkeit der Abbauanordnung nicht mehr an.
Fundstelle: Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25.06.2021 (10 A 10302/21) – abrufbar im Internet beispielsweise unter http://landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/f0y/page/bsrlpprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=20&numberofresults=23423&fromdoctodoc=yes&doc.id=MWRE210002705&doc.part=L&doc.price=0.0&doc.hl=1#rd_22